Die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht des DAV, Landesgruppe Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern bot am 21.04.2023 hochaktuelle Einblicke in dynamische Themen des Verwaltungsverfahren- und Verwaltungsprozessrechts. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Prof. Dr. Klaus Herrmann, fasst den Verlauf zusammen.
Dr. Denise Renger, Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz, stellte den Teilnehmenden das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren im Infrastrukturbereich vom 14.03.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 71) vor. Eindrücklich berichtete sie vom Anhörungsverfahren und dem parlamentarische Gesetzgebungsverfahren sowie dem Rechtsgutachten des früheren DAV-Präsidenten Dr. Wolfgang Ewer für den Normenkontrollrat aus dem Jahr 2019. Die Referentin ließ keinen Zweifel daran, dass die Vorschriften auch nach der parlamentarischen Debatte die Absicht des Gesetzgebers erkennen lassen, dass im Zweifel für ein Infrastrukturvorhaben entschieden werden soll. Frau Dr. Renger stellte die neuen Regelungen und ihren wesentlichen Anwendungsbereich vor, insbesondere die Ergänzung der Aufzählungen von Verfahren, für die die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe (§ 48 Abs. 1 VwGO) bzw. das Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 VwGO) zukünftig zusätzlich erstinstanzlich tätig sein sollen.
Herauszuheben sind insbesondere die zusätzlichen Präklusionsvorschriften bei Infrastrukturvorhaben (§§ 87b Abs. 4, 43e Abs. 3 EnWG). Ob der vom Gesetzgeber angeordnete frühe erste Termin (§ 87 c Abs. 2 VwGO) Beschleunigungseffekte entfaltet, blieb ebenso umstritten wie die Frage, ob die Vorschrift auch im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in erstinstanzlich beim Oberverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren im Infrastrukturbereich) Anwendung findet. Eine Diskussion entspann sich auch über den neuen § 80c Abs. 2 VwGO, der in den beschleunigt zu führenden Katalogverfahren den einstweiligen Rechtsschutz einschränkt, sofern eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften oder ein Abwägungsmangel in absehbarer Zeit behoben werden kann. Hierbei diskutierten die Teilnehmer die Anwendung der Fristsetzungsbefugnis zur Mangelbeseitigung und den Verweis auf die Korrekturbefugnis des § 80 Abs. 7 VwGO.
Mit aktuellen Streitigkeiten im Schnittpunkt zwischen Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht befasste sich Dr. Christian Eckart, LL.M. (Cornell). Zunächst erläuterte er den Grundsatz, dass die wegerechtliche Widmung einer öffentlichen Straße durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen weder erweitert noch gänzlich ausgeschlossen werden dürfe. Während das Wegerecht den Umfang des Gemeingebrauchs einer öffentlichen Straße bestimmt, betreffe das Straßenverkehrsrecht die Nutzungsausübung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Widmung. Bildlich erläuterte der Referent dies am Fall der Vollsperrung der Friedrichstraße in Berlin: Weil die geplante Teileinziehung der prominenten Einkaufsstraße nicht schnell genug ging, ordnete die zuständige Senatsverwaltung eine straßenverkehrsrechtliche Vollsperrung an, um den widmungsrechtlich (noch) zugelassenen Fahrzeugverkehr auszusperren. Im vorläufigen Rechtsschutz setzte das VG Berlin die Sperrung aus (11 L 398/22), weil keine qualifizierte Gefährdungslage für eine solche Anordnung nach § 45 Abs. 9 StVO vorlag. Detaillierte ging Dr. Eckart auf die Streitigkeiten um das sog. Free-Floating Carsharing, d.h. die Inanspruchnahme öffentlicher Parkflächen durch nutzungsbereite Mietfahrzeuge von Carsharing-Anbietern (ohne feste Abstellflächen). Er schildert die Entwicklung der Rechtsprechung, wonach diese Mietangebote einmal als Sondernutzung gelte, nach der anderen Sichtweise aber noch unter den Gemeingebrauch fällt. Durch § 11a des Berliner Straßengesetzes sollte ein Vergaberegime für entsprechende Anbieter eingeführt und vor allem eine Auflagenbefugnis geschaffen werden, wobei der Gesetzgeber eine Sondernutzung voraussetzte. Der Referent breitete die Entwicklung der Rechtsprechung aus, wonach zur Nutzung bereitstehende Mietfahrräder als Sondernutzung angesehen wurden (einerseits OVG NW 11 B 1459/20, andererseits OVG Hamburg 2 Bs 82/09) und schließlich das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (1 S 56/22) entschied, dass das stationsungebundene Carsharing dem Gemeingebrauch der zum Kraftfahrzeugverkehr gewidmeten Straßen unterfällt. In seinem Ausblick verwies Dr. Eckart auf die rechtlichen Herausforderungen sog. Kiezblocks. Hierbei handelt es sich um Initiativen von Einwohnern (mit Unterstützung von Organisation wie „Changing Cities“), bei denen durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen und Sperrungen innerhalb städtischer Quartiere der Kfz-Durchgangsverkehr ausgeschlossen wird.
In seinem Vortrag widmete sich Dr. Carlo Piltz den Anforderungen an den Datenschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die Geltung der DSGVO werde in verwaltungsgerichtlichen und sonstigen gerichtlichen Verfahren vom Erwägungsgrund 20 und Art. 55 Abs. 3 DSGVO vorausgesetzt. In einer aktuellen Entscheidung forderte der EuGH dabei von den mitgliedstaatlichen Gerichten (Urt. v. 02.03.2023, C-268/21), dass diese auch im Hinblick auf ihre judizielle Tätigkeit die Erforderlichkeit von Datenverarbeitungsvorgängen zu hinterfragen hätten und zusätzliche Datenschutzmaßnahmen in Betracht ziehen müssten. Detailliert erläuterte Dr. Piltz die Befugnisse zur Datenverarbeitung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren in der DSGVO und den mitgliedstaatlichen Prozessordnungen und ging auf die besonderen Rechtsgrundlagen für die staatlichen Gerichte einerseits und die ebenfalls für Datenverarbeitung verantwortlichen Parteien andererseits ein. Dabei stellte er die Besonderheiten für die Zweckänderung verfügbarer Informationen für die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen und Verteidigung gegen diese vor (§ 24 BDSG) und erwähnte auch die Ausnahme von der Informationspflicht gem. Art. 13 und 14 DSGVO für Berufsgeheimnisträger (§ 29 BDSG). Er stellte aktuelle Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vor, etwa VGH Mannheim (Urt. v. 24.05.2022 – 3 S 1813/19) zur Auslegung von Stellungnahmen privater Einwender im Rahmen von § 3 Abs. 2 BauGB oder des VG Hannover (Urt. v. 20.02.2023 – 10 A 1101/22) zur Verpflichtung der Behörde zur Übermittlung aller Akten abgelehnter Bewerber in einem Stellenbesetzungsverfahren an das Verwaltungsgericht. Schließlich erwähnte er noch eine aktuelle Entscheidung des VG Gelsenkirchen (Beschl. v. 08.02.2023 – 15 K 3678/22) zur Beschränkung des Auskunftsanspruchs gem. Art. 15 DSGVO gegenüber Gerichten durch den Grundsatz der missbräuchlichen Rechtsausübung.
Im Rahmen der Jahrestagung fand auch die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft statt. Die Arbeitsgemeinschaft gründete sich als „DAV-Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht Nordost“ neu und strebt die Eintragung als e.V. an. Die Vorstandsmitglieder Prof. Dr. Herrmann (Vorsitzender, Potsdam), Katrin Dinse (Schatzmeisterin, Wismar) und Dr. Frank Fellenberg (Beisitzer, Berlin) wurden ebenso bestätigt wie eine neue Satzung der Arbeitsgemeinschaft.