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Deutscher Anwaltstag 2025 – Staatliche Maßnahmen und Ersatzleistungen während der Corona-Pandemie

Beim Deutschen Anwaltstag 2025 in Berlin, der sich dem Thema „Rechtsstaatlichkeit stärken, Freiheit bewahren“ widmete, betrachtete die zweite Seminarveranstaltung der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht Nordost e.V. die Rechtsprechung und Rechtsentwicklung zu Staatlichen Maßnahmen und Ersatzleistungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. 

„Die Entscheidungen seines Senats sind nicht auf Beifall gestoßen“. So kommentierte der erste Referent die öffentlichen Reaktionen auf 4 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. Dr. Ulrich Herrmann ist Vorsitzender Richter des Bundesgerichtshofes und Vorsitzender des 3. Zivilsenats. Dieser Senat befasste sich in 4 Entscheidungen mit der Frage, ob Gastronomie- und Hotelbetrieben (III ZR 79/21; III ZR 134/22), einem Frisörbetrieb (III ZR 41/22) und einem Berufsmusiker (III ZR 54/22) wegen der Einschränkungen während der Corona-Pandemie („Lock-Down“) Ersatz- und Entschädigungsansprüche zustehen. Der Referent erläuterte dabei die wesentliche Rechtsprechungslinie, die sich an die Entscheidung des Gesetzgebers anlehnte, finanzielle Entschädigungen wegen seuchen- und infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen nur in ganz wenigen und ausdrücklich geregelten Fallkonstellationen zu gewähren. Während die Beeinträchtigungen durch im Lock-Down fernbleibende Gäste und Kunden nicht unter die Entschädigungsregeln des Infektionsschutzgesetzes fielen, könne die damit bezweckte Sperrwirkung für staatliche Leistungen weder durch eine extensive oder erweiternde Auslegung noch durch Heranziehung allgemeiner Instrumente des Staatshaftungsrecht umgangen werden. Für die bisher als rechtmäßig feststehenden oder geprüften Beschränkungsmaßnahmen könne insbesondere die Rechtsfigur des enteignenden Eingriffs keine Brücke über gesetzliche Entschädigungslücken bauen.

Auch Prof. Anna-Bettina Kaiser von der HU Berlin hielt die vorgestellten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in einer wissenschaftlichen Reflexion für tragfähig und richtig. Die existenzbedrohenden Beeinträchtigungen wären sozialstaatlich, nicht durch rechtsstaatliche oder grundrechtliche Entschädigungsinstrumente auszugleichen. Die Fallkonstellationen wiesen auf sieben Schwächen des gegenwärtigen Staatshaftungsrechts hin: (1) Rechtmäßige Beschränkungen der Berufstätigkeit müssten zwar auf gesetzliche Grundlagen gestützt werden können, diese könnten aber auch ohne Entschädigungsregelungen verfassungskonform sein. (2) Ausdrücklich und bewusst punktuelle Entschädigungsregelungen des Gesetzgebers ließen sich nicht unter Rückgriff auf die allgemeine Staatshaftung schließen – ein gleichheitswidriger und damit verfassungswidriger Begünstigungsausschluss sei zurecht abgelehnt worden. (3) Ob die Rechtsfigur des Sonderopfers beim enteignenden Eingriff überhaupt noch anwendbar sei, begegne aus ihrer Sicht schon erheblichen rechtlichen Zweifeln. Jedenfalls müssten bei Beeinträchtigungen in der gesamten Gesellschaft ausgesprochen hohe Anforderungen an die Besonderheit oder Unzumutbarkeit der Sonderopfer gestellt werden. (4) Während der Gesetzgeber seine Regelungsaufgabe bei der Staatshaftung seit Jahrzehnten versäume, habe der Bundesgerichtshof sich zurückhalten müssen, als Ersatzgesetzgeber ein Entschädigungsregiment für coronabedingte Beeinträchtigungen zu entwickeln. Dass der Gesetzgeber sich auf ausgewählte Entschädigungskonstellationen festgelegt hatte – die hier nicht einschlägig seien –, habe die Rechtsprechung wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes zu respektieren. (5) Jedenfalls wäre es Aufgabe des Gesetzgebers und nicht eines Gerichts, die erheblichen finanziellen Folgen einer allgemeinen Entschädigungsregel auszugestalten und einzugrenzen. (6) Beide Referenten stellten darauf ab, dass Bund und Länder ganz erhebliche Summen (>130 Mrd. Euro) als Coronahilfen, Kreditvergünstigungen und sonstige sozialstaatliche Leistungen bereitgestellt haben, es gäbe sogar besondere Härtefall-Programme. (7) Schließlich pflichtete die Referentin dem Bundesgerichtshof bei, dass eine Erwartung, jedweder wirtschaftliche Nachteil durch staatlichen Seuchenschutz müsste entschädigt werden, schon seit dem Reichsseuchengesetz im 19. Jahrhundert unberechtigt gewesen sei. 
Kaiser schlug eine Untersuchung des Bundestags zu „Lehren aus der Covid-Pandemie“ vor, die sich auch und insbesondere mit aktuellen Härten (und Insolvenzrisiken) bei der Handhabung und Abrechnung der Coronahilfen befasst. Hier sei der Gesetzgeber oder jedenfalls die Zuwendungsverwaltung aufgefordert, angesichts der nicht immer ganz klaren Verwendungsbestimmungen auf Härtefälle zu reagieren.

In der von Rechtsanwalt Dr. Maximilian Dombert geleiteten Diskussion würdigten Teilnehmende in ihren Redebeiträgen die Differenziertheit und Systematik der Entschädigungsrechtsprechung. Die Redebeiträge kreisten ferner um subjektive Erfahrungen zur Erreichbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes während des Lock-Downs, die Wirksamkeit der Coronahilfen und die Probleme bei der Abrechnung und Führung von Verwendungsnachweisen sowie um die Einschätzungen zum Vorliegen eines Staatsnotstandes.

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