Die DAV-Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht Nordost widmete am 19.04.2024 ihre Jahrestagung in Berlin dem aktuellen Stand der Digitalisierung im Bereich der Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Über die Digitalisierung der Verwaltungsgerichte in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern berichteten Kathleen Fangerow (VG Greifswald), Dr. Stephan Kirschnick (VG Potsdam) und Dr. Florian von Alemann (VG Berlin). Während in Brandenburg und Berlin die Einführung der obligatorischen elektronischen Gerichtsakte 2024 noch bevorsteht, ist diese bei den Verwaltungsgerichten in Mecklenburg-Vorpommern seit 20.11.2023 bereits Realität. Am Beispiel von Brandenburg erläuterte Kirschnick die rechtlichen Grundlagen für die elektronische Aktenführung. Er ging auch auf die Ergänzung einer Verordnungsermächtigung (§ 55b Abs. 7 VwGO) ein, die das Ziel verfolgt, Verwaltungsvorgänge standardisiert im Verwaltungsprozess einzubeziehen. Die Referenten Kirschnick und von Alemann, die auch richterliche IT-Beauftragte ihrer Gerichte sind, stellten die in beiden Ländern unterschiedlichen Fachanwendungen für die elektronische Aktenführung vor und schilderten die Umstände der gleichzeitigen Arbeit mit digitalen und Papierakten. Den Worten Fangerows zufolge haben sich die Mitarbeitenden des Verwaltungsgerichts Greifswald bereits an die Vorteile und Eigenheiten der Software für den elektronischen Geschäftsablauf gewöhnt. Sie gab den Teilnehmern Tipps zur Bereitstellung von Beiakten und wertvolle Hinweise wie den, dass bloße beA-Nachrichten (ohne Anhänge) von der elektronischen Poststelle nicht an die Richter weitergeleitet werden. Die bewährte telefonische Vorankündigung besonders eilbedürftiger Sachen sei weiterhin gewünscht. Besonders anschaulich schilderte Kirschnick die Vorbereitung und Durchführung von Videoverhandlungen: Zwar sei die technische Ausstattung immer häufiger vorhanden. Allerdings müssten die „Regisseur-Fähigkeiten“, die für eine Sitzung mit allen Beteiligten, ehrenamtlichen Richter*innen und eventuellen Zeugen notwendig seien, noch antrainiert werden. Die Teilnehmer*innen tauschten sich über die Fortschritte der digitalen Aktenführung mit den IT-Vorreitern aus den Verwaltungsgerichten noch in der Mittagspause aus.
Weitaus heterogener ist der Stand der Digitalisierung bei den Aufgabenträgern in der öffentlichen Verwaltung: Manche Behörden geben ihre traditionellen Verfahrensweisen und Aktenordnungen nicht auf. Dabei müssten gemeinsame Standards und Verfahrensweisen für die Online-Abwicklung von Behördenkontakten und digitale Aktenführung längst gefunden bzw. bundesweit abgestimmt sein. In diese „Erarbeitung“ zukünftiger Strukturen und digitaler Anwendungen für Verwaltungsverfahren führten Dr. Dominik Lück (Potsdam) und Dr. Cornelius Böllhoff (Berlin) ein: Die Teilnehmer wurden durch die verfassungsrechtlichen Grundlagen (Artikel 91 c GG) und den europäischen Rechtsrahmen (SDG-, Single Digital Gateway-Verordnung) geführt und über die Strukturen und Abstimmungsverfahren informiert, die sich unter dem Onlinezugangsgesetz etabliert haben. Auch wenn der IT-Planungsrat oder die Bund-Länder-Kooperation FITKO nur Brücken in eine digitale Zukunft der Verwaltung darstellen sollten, sind sie bereits zum Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion geworden – etwa wenn es um die Kostentragung für die Pilotierung und Nachnutzung sowie die damit verbundenen Beschleunigungs- und Standardisierungseffekte geht. Am Beispiel der Online-Anwendungen zur Zeugnisbewertung und zur Ummeldung demonstrierten die Referenten die einzelnen Abstimmungsschritte, erläuterten die verfassungsrechtlichen Herausforderungen und Lösungen: Die „digital only“-Anwendung zur Zeugnisbewertung wirft etwa die Frage nach einem (Grund-) „Recht auf analoges Leben“ auf. Die Referenten schlossen mit einer Forderung: Damit der Föderalismus in Deutschland nicht zur Bremse für digitale Verwaltungsanwendungen wird, müssten Koordinierungs- und Querschnittskompetenzen (z.B. zum Datenschutz, zu Formanforderungen oder zur Authentifizierung) bundeseinheitlich ausgestaltet, wenn nicht sogar durch den Bund geregelt werden.
Abschließend ordnete Dr. Stefanie Schulz-Große (Berlin) die am 13.03.2024 vom Europäischen Parlament beschlossene Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (sog. Gesetz über künstliche Intelligenz) ein. Nach einem Abriss der Gesetzgebungsgeschichte stellte sie Beispielsfälle für automatisierte und durch KI unterstützte Vorgänge der öffentlichen Verwaltung vor, z.B. im Bereich des Steuerrechts, des Bildungs- oder Gewerberechts oder bei der KFZ-Zulassung. Die Referentin erläuterte die risikobasierte Regulierung von Anbieter- und Betreiberpflichten. Neben der Regelungstechnik für Hochrisikosysteme oder den Einsatz in besonders sensiblen Bereichen erläutere sie begriffliche Parallelen zur DSGVO. Abschließend wies sie auf bestehende nationale KI-Beschränkungen hin wie das IT-Einsatzgesetz des Landes Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2022. Eine Diskussion anhand von Fallbeispielen rundete den Vortrag ab.
Die abwechslungsreiche Jahrestagung 2024 verdeutlichte, dass in den kommenden Jahren erhebliche Entwicklungssprünge durch die Digitalisierung auch im Bereich des öffentlichen Rechts bevorstehen. Der Austausch über die Grenzen von Berufsgruppen hinweg trägt zum besseren Verständnis der judiziellen Verfahrensabläufe bei und deckt Vorteile durch den Einsatz digitaler Verfahren und die Nutzung von künstlicher Intelligenz auf. Die DAV-Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht Nordost beleuchtet beim Deutschen Anwaltstag am 07.06.2024 mit einer Präsenzveranstaltung, welche Verbesserung die digitalen Verwaltungsanwendungen konkret für Anwält*innen bieten: Link zur Anmeldung: https://anwaltstag.de/de/programm-2024/details/100005